Forschung an Ameisenpflanzen im peruanischen Dschungel: Wie eine Doktorandin ihre Forschung durch die Pandemie rettete
Andrea Müller vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie erhält den Beutenberg-Campus-Preis für die beste Doktorarbeit.
Eine große Neugier und der Wunsch zu verstehen, wie die Welt funktioniert, haben Andrea Müller zur Wissenschaft geführt. „Ich fand es superspannend, was Lebewesen und insbesondere Pflanzen alles können und wie sie mit ihrer Umwelt interagieren. Darüber wollte ich gerne mehr herausfinden,“ beschreibt sie ihre Begeisterung für die Forschung. Ihr Promotionsobjekt wurde die Ameisenpflanze Tococa quadrialata, die in einer engen symbiotischen Gemeinschaft mit Ameisen lebt. Beide Symbiosepartner, Pflanze und Ameise, profitieren vom Zusammenleben: Während Ameisen die Pflanze gegen Angreifer verteidigen, bietet die Pflanze den kleinen Insekten Wohnraum und Nahrung. Andrea Müller wollte herausfinden, ob diese Pflanzen auch eigene, von den Ameisen unabhängige Verteidigungsstrategien einsetzen, oder ob diese durch die Symbiose mit den Ameisen überflüssig geworden sind. Diese Fragestellung untersuchte sie nicht nur im Labor, sondern auch direkt dort, wo die Tococa-Pflanzen in ihrem natürlichen Lebensraum wachsen: im Dschungel des Amazonastieflands im Südosten Perus. Die damit verbundenen logistischen Probleme zu lösen, wie beispielsweise flüssigen Stickstoff für das Einfrieren und den Rücktransport von Pflanzenproben in den Regenwald zu bringen, waren erste Hürden, die es zu meistern galt. Mit der größten Herausforderung sah sich die junge Doktorandin allerdings konfrontiert, als die Covid-19-Pandemie plötzlich alle Planungen auf den Kopf stellte: „Ich war gerade wieder nach Peru geflogen, als der Lockdown alle weiteren Forschungsaktivitäten vor Ort unmöglich machte. Ich konnte nicht einmal mehr meine Proben im Labor holen. Sechs Wochen wartete ich in Peru auf einen Rückholflug, während an Forschung gar nicht mehr zu denken war. Am schlimmsten war für mich, dass mein gesamtes Projekt plötzlich auf der Kippe stand.“
Sobald die Grenzen 2021 wieder öffneten, kehrte die Doktorandin, deren Forschungsaufenthalt vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert wurde, nach Peru zurück. Sie befand sich allerdings immer noch inmitten einer Pandemie, was ihre Forschungsreise zu einem echten Abenteuer machte. „Die Herberge, in der ich normalerweise untergebracht war, war geschlossen. Die Wege im Dschungel, die zu meinen Pflanzen führten, waren verwittert und zugewachsen,“ erinnert sie sich.
Am Ende zahlten sich alle Mühen aus. Andrea Müller konnte weitere Experimente im peruanischen Dschungel durchführen und in ihren Untersuchungen zur Verteidigungsstrategie von Tococa-Pflanzen zeigen, dass Ameisenpflanzen doppelt von der Symbiose mit Ameisen profitieren: durch den Schutz, den die Ameisen bieten, und durch den Nahrungsabfall und die Ausscheidungen von Ameisen, die sich positiv auf den pflanzlichen Stoffwechsel auswirken. Trotz der Symbiose mit den Ameisen, die für die Pflanzen die Rolle der Bodyguards übernommen haben, hat die untersuchte Art Tococa quadrialata im Laufe der Evolution die Fähigkeit, eigene Abwehrmechanismen zu aktivieren, nicht verloren, auch wenn sie weniger wirkungsvoll sind als die Verteidigung durch die Ameisen.
Andrea Müller entdeckte, dass zwei spezielle pflanzliche Abwehrstoffe in von Raupen angefressenen Blättern der Tococa-Pflanzen häufig vorkommen: Phenylacetaldoxim (PAOx) und das dazugehörige Glukosid (PAOx-Glc). Sie beschrieb nicht nur erstmals das bislang unbekannte PAOx-Glc und klärte seinen Biosyntheseweg auf, sie konnte auch seine biologische Funktion als Abwehrstoff, der überraschenderweise auch in vielen anderen Pflanzenarten vorkommt, entschlüsseln.
Im letzten Jahr schloss Andrea Müller ihre Promotion schließlich sehr erfolgreich ab. Die Arbeit über die physiologischen und phytochemischen Aspekte einer Symbiose zwischen Ameisen und Pflanzen (Originaltitel „Physiological and phytochemical aspects of ant-plant mutualism“) wurde mit „summa cum laude“ bewertet. Am 30. Mai 2024 wird sie außerdem als beste Doktorarbeit mit dem Beutenberg-Campus-Preis ausgezeichnet. Unter dem Aspekt „Life Sciences meets Physics“ würdigt diese Auszeichnung in besonderem Maße den Einsatz und die Etablierung physikalischer Messmethoden in den Lebenswissenschaften. „Andrea entwickelte empfindliche und zuverlässige Protokolle zur Sammlung flüchtiger organischer Verbindungen im Regenwald. Dazu veränderte sie die Kammerkonstruktion und den Luftstrom der Duftsammelgeräte, um die Rückgewinnung der flüchtigen Substanzen zu verbessern. Zudem arbeitete sie an einem neuen, nicht-invasiven Nachweissystem für pflanzliche Abwehrreaktionen, das spezifische fluoreszierende Nah-Infrarot-Polyphenol-Sensoren nutzt. Diese Technik ermöglicht die schnelle Quantifizierung pflanzlicher Abwehrstoffe und könnte für zukünftige Studien zur Analyse pflanzlicher Verteidigungsmechanismen nützlich sein,“ fasst ihr Betreuer Axel Mithöfer Andreas Müllers wissenschaftliche Leistung zusammen.
Die junge Wissenschaftlerin hat inzwischen die Grundlagenforschung verlassen und arbeitet an der Schnittstelle zwischen Produktion und Qualitätssicherung bei einer Biotech-Firma im oberschwäbischen Laupheim. Über die Auszeichnung, die sie wieder zurück nach Jena führt, freut sie sich sehr, betont aber gleichzeitig: „Ohne all meine Kolleginnen und Kollegen hier und in Peru hätte ich das alles nicht geschafft. Mein Projekt ist ein hervorragendes Beispiel dafür, was mit guter interdisziplinärer und internationaler Zusammenarbeit möglich ist.“