Umweltgift Ozon hebt Paarungsgrenze zwischen Fliegenarten auf
Erhöhte Ozonwerte führen zu vermehrtem Auftreten von meist fortpflanzungsunfähigen Hybriden zwischen verschiedenen Arten der Gattung Drosophila
Forschende des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena zeigen in einer aktuellen Studie in Nature Communications, dass Ozonwerte, wie sie heute vielerorts heißen Sommertagen auftreten, die Sexualpheromone von Taufliegenarten zerstören. Dadurch werden natürliche Paarungsgrenzen, die durch artspezifische Pheromone aufrechterhalten werden, aufgehoben. Wie das Forschungsteam in Experimenten nachweisen konnte, paarten sich Fliegen verschiedener Taufliegenarten, wenn sie zuvor Ozon ausgesetzt worden waren, und produzierten hybride Nachkommen. Da solche Nachkommen in den meisten Fällen nicht fortpflanzungsfähig sind, könnten die Ergebnisse eine weitere Erklärung für das weltweite Insektensterben liefern.
Die für die Fliegenpaarung wichtige chemische Kommunikation wird durch Ozon gestört
Insektenpheromone sind Duftmoleküle, die der chemischen Kommunikation innerhalb einer Art dienen. Sexualpheromone spielen bei der Paarung vieler Insekten eine entscheidende Rolle. Die artspezifischen Duftstoffe führen Männchen und Weibchen einer Art gezielt zueinander. Gleichzeitig halten sie die natürlichen Grenzen zwischen den Arten aufrecht.
Das Forschungsteam um Nanji Jiang, Bill Hansson und Markus Knaden aus der Abteilung Evolutionäre Neuroethologie am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie konnte bereits zeigen, dass erhöhte Ozonwerte die chemische Kommunikation innerhalb von Fliegenarten empfindlich stören: Ozon bricht die Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindungen auf, die in den meisten Insektenpheromonen enthalten sind. Fliegenmännchen waren daraufhin nicht mehr in der Lage, Weibchen von Männchen zu unterscheiden (Luftverschmutzung beeinträchtigt die Paarung von Fliegen, 14.03.2024) und balzten daher mit beiden Geschlechtern.
In ihrer neuen Studie gingen die Forscher nun der Frage nach, ob sich die Zerstörung der Sexuallockstoffe durch Ozon auch auf die Paarungsgrenzen zwischen verschiedenen Arten auswirkt. „Wir wollten vor allem wissen, ob erhöhte Ozonwerte die Paarungsgrenzen zwischen den Arten aufheben und welche Folgen eine mögliche Hybridisierung hat. Aus früheren Experimenten wissen wir, dass Ozon die Partnerwahl bei Insekten empfindlich stören kann. Unsere aktuelle Studie deutet darauf hin, dass sich schon bei leicht erhöhten Ozonkonzentrationen, wie sie an Sommertagen vielerorts nicht ungewöhnlich sind, Fliegen vermehrt mit nah verwandten Arten kreuzen, was aufgrund der Unfruchtbarkeit der entstehenden Hybriden zu einem Rückgang der Insektenpopulationen führen könnte,“ fasst Erstautor Nanji Jiang die zentrale Aussage der Studie zusammen.
Unter Ozon erfolgen Paarungen über Artgrenzen hinweg
Für ihre Experimente wählten die Wissenschaftler vier Arten der Gattung Drosophila aus. Während Drosophila melanogaster und Drosophila simulans kosmopolitische Arten sind, die überall auf der Welt vorkommen, sind ihre Verwandten Drosophila sechellia und Drosophila mauritiana inselendemisch und kommen, wie ihre Namen verraten, nur auf den Seychellen bzw. auf Mauritius vor. Alle vier Arten verwenden sehr ähnliche Pheromone, mischen diese aber artspezifisch. Für das Forschungsteam war es daher entscheidend, die quantitativen Veränderungen innerhalb der Pheromonmischungen nach Ozonbelastung messen zu können.
In den Paarungsexperimenten wurden Fliegen zwei Stunden lang einer Ozonkonzentration ausgesetzt, wie sie an besonders heißen Tagen in unseren Städten häufig gemessen wird. Die Wissenschaftler gaben paarungsbereiten Weibchen die Möglichkeit, zwischen einem Männchen der gleichen Art und einem Männchen einer anderen Art zu wählen. Nach einigen Stunden trennten sie die Weibchen von den Männchen und ließen sie Eier legen. Um festzustellen, ob sich das Weibchen mit einem Männchen der eigenen oder einer anderen Art gepaart hatte, untersuchten die Forschenden die Geschlechtsorgane der männlichen Nachkommen, denn anhand ihrer Morphologie lassen sich die Arten und auch Hybriden unterscheiden. Die Ergebnisse dieser Tests zeigten, dass unter dem Einfluss von Ozon gehäuft Hybridisierungen stattfanden, während kaum Hybriden gefunden wurden, wenn die Fliegen zuvor nur der Umgebungsluft ausgesetzt worden waren.
Taufliegen setzen bei der Paarung nicht nur auf chemische Signale, sondern auch auf den Gesang artspezifischer Lieder, die sie mit ihren vibrierenden Flügeln erzeugen. Daneben werben viele Arten mit visuellen Signalen. Trotz dieser zusätzlichen „Hilfsmittel“ führte eine erhöhte Ozonkonzentration offenbar dazu, dass einige der Fliegenweibchen im Test überhaupt nicht mehr zwischen Artgenossen und Männchen anderer Arten unterscheiden konnten. „Obwohl wir erwartet hatten, dass die Störung der Pheromonkommunikation durch Ozon zu einem leicht verstärkten Auftreten von Hybriden führen würde, waren wir doch überrascht, dass bei einigen Weibchen die Unterscheidung zwischen Artgenossen und artfremden Männchen trotz möglicher anderer akustischer oder visueller Signale völlig zusammenbrach,“ sagt Bill Hansson, Leiter der Abteilung Evolutionäre Neuroethologie.
Hybriden: eine evolutionäre Sackgasse
Männliche Hybriden sind in der Regel steril oder zumindest weniger fruchtbar als Nicht-Hybriden. Daher sind männliche Hybriden für die Fliegen eine nutzlose Investition und können zum Aussterben von Populationen beitragen.
Weibliche Hybriden sind im Gegensatz zu männlichen meist fruchtbar und wurden in der vorliegenden Studie in einigen Fällen sogar von den Männchen als Paarungspartner bevorzugt. Über weibliche Hybriden könnte daher ein kontinuierlicher Genfluss stattfinden, der prinzipiell langfristig zur Entstehung hybrider Arten führen könnte.
„Die Gattung Drosophila umfasst mehr als 1500 Arten, und es ist bekannt, dass davon mehr als 100 eng verwandte Artenpaare potenziell hybridisieren können. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass eine schadstoffinduzierte Hybridisierung bei einigen dieser Artenpaare zu einer hybriden Spezies führt,“ schätzt Studienleiter Markus Knaden die Erfolgschancen einer solchen hybriden Art ein.
Schadstoffe in der Luft sind eine unterschätzte Gefahr für Insekten
Für viele Insekten sind Düfte wichtige Hinweise, die sie zum Überleben brauchen, nicht nur bei der Partnerwahl. Neben Sexualpheromonen nutzen sie geschlechtsunabhängig Aggregationspheromone, um Artgenossen anzulocken, oder Alarmpheromone, um sich bei Gefahr zu verständigen. Soziale Insekten wie Ameisen navigieren entlang von Pheromonspuren oder nutzen kolonieeigene Düfte, um ihre Nestgenossinnen zu erkennen. Viele dieser Duftmoleküle enthalten ebenfalls Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindungen, die durch Ozon aufgebrochen werden können. Die Wissenschaftler befürchten, dass Ozon die chemische Kommunikation der Insekten in vielen Bereichen stören könnte, und wollen dies nun in weiteren Studien, zum Beispiel an Ameisen, untersuchen.
Außerhalb des Labors können andere oxidierende Schadstoffe wie Stickoxide, die wegen ihrer Toxizität nicht im Labor getestet werden dürfen, die Wirkung von Ozon noch verstärken. Für diese Schadstoffe gibt es wegen ihrer schädlichen Wirkung auf den Menschen bereits Grenzwerte. „Grenzwerte für Luftschadstoffe sollten neu bewertet werden, wenn man bedenkt, dass bereits geringe Mengen dieser Stoffe erhebliche Auswirkungen auf die chemische Kommunikation von Insekten haben,“ sagt Markus Knaden und appelliert: „Da wir derzeit mit einem dramatischen Insektenrückgang hinsichtlich der Gesamtbiomasse und der Artenvielfalt konfrontiert sind, sollten wir versuchen, sämtliche Faktoren, die diesen Rückgang möglicherweise begünstigen, besser zu verstehen und ihnen entgegenzuwirken.“