Neue Lebensräume beeinflussen Pflanzenabwehr
Populationen des Spitzwegerichs außerhalb ihres ursprünglichen Verbreitungsgebiets sind genauso gut und zum Teil sogar besser verteidigt als einheimische Populationen
Ein internationales Team von Forschenden ist der Frage nachgegangen, ob sich die chemische Verteidigung von Pflanzen verändert, wenn sie sich in neuen geographischen Regionen etablieren. Gewächshausversuche mit Populationen des Spitzwegerichs aus verschiedenen Ländern und Kontinenten, zeigten, dass eingewanderte bzw. eingeführte Spitzwegerich-Populationen unter Berücksichtigung von Klimafaktoren ihres Lebensraums eine höhere chemische Abwehrkraft aufwiesen, ohne dass ihr Wachstum beeinträchtigt war. Die Ergebnisse widerlegen gängige Theorien und belegen, wie schwierig es ist, allgemeingültige Annahmen in der Ökologie zu formulieren (Functional Ecology, März 2024, doi: 10.1111/1365-2435.14535).
Spitzwegerich (Plangato lanceolata) ist vielen aus der Apotheke bekannt. Die Arzneipflanze des Jahres 2014, die schon seit Jahrhunderten in der Volksmedizin eingesetzt wurde, wirkt hustenstillend und entzündungshemmend und kommt beispielsweise in Hustensaft oder Hustenbonbons. Der Spitzwegerich ist aber auch ein Beispiel für eine erfolgreiche Besiedelung neuer Lebensräume auf dem gesamten Globus und wird als pflanzlicher Kosmopolit bezeichnet. Während sich sein ursprüngliches Verbreitungsgebiet auf den eurasischen Raum und Nordafrika beschränkte, ist die Pflanze in andere Gebiete eingewandert oder eingeführt worden und hat sich dort erfolgreich etabliert.
Bei der Besiedlung neuer Lebensräume sind Arten anderen Umweltfaktoren ausgesetzt, so dass es verschiedenen Theorien gibt, wie manche Arten auch neue Regionen erfolgreich besiedeln. Eine Annahme ist, dass gebietsfremde Arten in geringerem Maße pflanzenfressenden Insekten und Schaderregern ausgesetzt sein könnten als in ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet. Dadurch müssen sie sich auch weniger verteidigen und können mehr Ressourcen in Wachstum investieren. Entsprechend können sie sich besser gegenüber Konkurrenten behaupten. Eine andere Theorie ist, dass eingeführte Arten auch neue chemische Abwehrstoffe bilden können. Es gibt einzelne Belege für diese Theorien, doch insgesamt gibt es nur wenig Studien, die sie klar untermauern.
Die Arbeitsgruppen um Sybille Unsicker von der Universität Kiel und ehemalige Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie und Christiane Roscher, die am Umweltforschungszentrum UFZ und dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung iDiv forscht, sind daher anhand des Spitzwegerichs der Frage nachgegangen, ob sich das Wachstum und die chemische Verteidigung von Spitzwegerich-Populationen aus dem ursprünglichen Verbreitungsgebiet von Populationen aus Gebieten, in die Spitzwegerich eingetragen wurde, unterscheiden.
Der Spitzwegerich wurde bereits in etlichen ökologischen Studien untersucht und die wichtigsten chemischen Abwehrstoffe sind gut charakterisiert. „Mit Hilfe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt konnten wir zehn Spitzwegerich-Populationen aus Europa, dem ursprünglichen Siedlungsgebiet, und weitere neun gebietsfremde Populationen von verschiedenen Kontinenten sammeln. Alle Populationen haben wir unter denselben Bedingungen im Gewächshaus angezogen und Wachstumsparameter gemessen“, erläutert Doktorandin und Erstautorin Pamela Medina van Berkum vom MPI für chemische Ökologie den Versuchsansatz. Zudem wurden Raupen auf die Pflanzen gesetzt, um die Anreicherung von Abwehrstoffen und die Abgabe von Duftstoffen vor und nach Fraß zu messen. Bei den Raupen handelte es sich um den Generalisten Spodoptera littoralis, der nicht an Spitzwegerich angepasst ist und sich von vielen verschiedenen Pflanzenarten ernährt.
„Unter Berücksichtigung der Klimafaktoren des Herkunftsortes konnten wir zeigen, dass Populationen aus eingeführten Verbreitungsgebieten durch einen Anstieg der chemischen Abwehrstoffe gekennzeichnet waren, ohne dass sie weniger Biomasse produzierten. Die Konzentrationen von Iridoidglykosiden und Verbascosid, den wichtigsten Abwehrstoffen von Spitzwegerich gegen Fraßfeinde, waren in eingeführten Populationen höher als in einheimischen Populationen“, fasst Co-Erstautor Eric Schmöckel vom MPI für chemische Ökologie die Ergebnisse der Analysen zusammen. Gleichzeitig zeigten aber die eingeführten Populationen etwas größere Fraßschäden und die Raupen fraßen mehr Biomasse. Darüber hinaus wiesen die eingeführten Populationen höhere Mengen und eine größere Vielfalt der durch Raupenfraß verursachten Abgabe von Duftstoffen auf. Interessanterweise hing die Anreicherung von Duftstoffen sowohl bei eingeführten als auch bei einheimischen Populationen von den klimatischen Bedingungen ab und stieg mit abnehmender Temperatur.
Diese Ergebnisse entsprechen nicht den gängigen Theorien, nach denen die eingeführten Populationen im Vergleich zu den einheimischen Populationen weniger in Abwehrstoffe investiert haben sollen. Christiane Roscher interpretiert sie so: „Es mag zwar stimmen, dass die Pflanzen ihren natürlichen Feinden entkommen sind, aber in ihrem neuen Verbreitungsgebiet können sie auf neue Feinde treffen. Außerdem können chemische Abwehrstoffe wichtig sein, um mit den klimatischen Bedingungen und Stressfaktoren wie beispielsweise Trockenheit und hohen Salzgehalten von Böden fertig zu werden, denn mehrere der gemessenen Merkmale wurden auch in den Herkunftsländern der Populationen durch das Klima beeinflusst.“
Mit dieser Studie wurden erste Erkenntnisse erzielt, warum der Spitzwegerich weltweit so erfolgreich ist. Doch gerade die Rolle der klimatischen Bedingungen konnte nur ansatzweise geklärt werden. „In den folgenden Experimenten werden wir versuchen herauszufinden, wie die einzelnen Spitzwegerich-Populationen auf eine Kombination aus Stressfaktoren reagieren. Mit anderen Worten: Wir wollen die Pflanzen realistischeren Umweltbedingungen aussetzen, wie wir sie derzeit im Zusammenhang mit dem Klimawandel beobachten“, beschreibt Sybille Unsicker die weiteren Arbeiten und ergänzt: „Unsere Forschung zeigt, dass es schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, verallgemeinernde Hypothesen in einem ökologischen Kontext zu formulieren.“