Wie Pflanzen medizinische Wirkstoffe produzieren
Forschungsbericht (importiert) 2020 - Max-Planck-Institut für chemische Ökologie
Gegen viele Krankheiten ist ein Kraut gewachsen
Pflanzen interagieren sie mit ihrer Umgebung, indem sie eine Vielzahl von Molekülen produzieren. So haben sie sich zu anpassungsfähigen und geübten Chemikern entwickelt. Die Stoffwechselwege, über die sie Moleküle produzieren, versetzen Pflanzen in die Lage, sich zu verteidigen, Entwicklungsprozesse zu steuern und mit anderen Organismen zu kommunizieren. Viele dieser Moleküle haben pharmakologischen Nutzen für den Menschen. Bekannte Beispiele sind Morphin (schmerzlindernd), Taxol (antikanzerogen) und Kokain (stimulierend).
Mit Hilfe der synthetischen Biologie Wirkstoffe schneller und in höheren Mengen produzieren
Menschen verwenden Pflanzen schon sehr lange als Medizin. Viele pflanzliche Naturstoffe sowie ihre Derivate werden heute zur klinischen Behandlung einer Vielzahl von Krankheiten eingesetzt. Die meisten dieser Verbindungen werden direkt aus Pflanzen gewonnen. Dies führt allerdings oft zu einer Verknappung der Medikamente, denn Pflanzen wachsen oft langsam, benötigen spezielle Umweltbedingungen und können die gewünschten Wirkstoffe oft nur in geringen Mengen produzieren. Mit der Entwicklung moderner Ansätze der synthetischen Biologie können wir die natürlichen pflanzlichen Produzenten umgehen und neue Wege nutzen, um das chemische Potenzial von Heilpflanzen nutzbar zu machen. Konkret können wir das Pflanzengenom nach den Genen durchsuchen, die die Biosynthesewege für medizinisch wertvolle Pflanzenmoleküle kodieren, und diese Gene dann in einfacheren, leichter zu züchtenden Wirtsorganismen rekonstruieren, die diese Substanzen zuverlässig und in hohen Mengen produzieren.
Wie das Madagaskar-Immergrün Wirkstoffe gegen Krebs bildet – und wie dieser Prozess synthetisch optimiert werden kann
Die jeweiligen Gene für pflanzliche Biosynthesewege zu finden, ist immer noch eine große Herausforderung. Jeder chemische Schritt in einem Biosyntheseweg wird von einem bestimmten Enzym katalysiert, das wiederum von einem Gen kodiert wird. Die Suche nach diesen Genen und das Verständnis der chemischen Katalyse-Prozesse, die von den kodierten Enzymen in Gang gesetzt werden, ist einer der Forschungsschwerpunkte unserer Abteilung. So fanden wir die fehlenden Gene im Biosyntheseweg, der zu Vinblastin führt, einem Antikrebsmittel, das vom Madagaskar-Immergrün Catharanthus roseus produziert wird ([1]; Abb.1). Vinblastin wurde erstmals in den 1950er Jahren entdeckt, nachdem beobachtet worden war, dass Blätter der Pflanze in Jamaika als Tee zur Behandlung vieler Krankheiten verwendet wurden. Obwohl für die Extraktion von nur einem Gramm Vinblastin Tonnen von Pflanzenmaterial benötigt werden, wird das Molekül für klinische Zwecke immer noch aus Pflanzen isoliert. Daher haben wir uns auf die Suche nach allen Genen gemacht, die für die Synthese von Vinblastin benötigt werden, um mit Hilfe der synthetischen Biologie die Herstellung dieser Substanz zu verbessern.
Vinblastin wird aus zwei einfachen Ausgangsstoffen, Geranylpyrophosphat und Tryptophan, synthetisiert, die über 33 verschiedene durch Enzyme katalysierte chemische Reaktionen in das Endprodukt umgewandelt werden. Um diese Enzyme zu finden, haben wir verschiedene Gewebe der Pflanze sequenziert und parallel dazu mit Hilfe der Massenspektrometrie den Vinblastingehalt darin gemessen. Anschließend glichen wir mit einer Reihe von bioinformatischen Methoden die Genexpressionswerte mit dem Vorhandensein von Vinblastin sowie von Vinblastin-Zwischenprodukten ab. So erhielten wir eine lange Liste von potenziellen am Biosyntheseweg beteiligten Genen. Die Auswahl der Kandidatengene verfeinerten wir mittels chemischer Logik: Wir formulierten eine Reihe von chemischen Reaktionsschritten, von denen wir annahmen, dass sie für die Bildung von Vinblastin verantwortlich sind (in vielen Fällen sind diese hypothetischen Schritte durch Fütterungsstudien und chemische Modellreaktionen belegt), und suchten dann in unserer Kandidatenliste nach Enzymen, die diese Reaktionen katalysieren könnten. Anschließend charakterisierten wir die Kandidaten funktionell, wobei wir sowohl Gen-Stilllegungen (gene silencing) in der Pflanze als auch biochemische Untersuchungen im Reagenzglas durchführten.
Ibogain und Vinblastin: zwei pflanzliche Naturstoffe mit ähnlicher Struktur und völlig unterschiedlicher Wirkung
Es gelang uns, einen besonders kryptischen Teil des Vinblastin-Biosynthesewegs auzufklären, bei dem ein hochgradig instabiles Substrat von einem der beiden Enzyme in zwei unterschiedliche Monomer-Gerüste zyklisiert wird, die dann zu Vinblastin zusammengefügt werden. Die Aufklärung dieser Biosynthese ermöglicht uns den Zugang zu anderen Molekülen, da die Natur Enzyme weiterentwickelt hat, um andere Gerüste zu erzeugen. Tabernanthe iboga, ein immergrünes Hundsgiftgewächs, das in Afrika heimisch und mit C. roseus verwandt ist, produziert das Molekül Ibogain ([2]; Abb. 1) , das aufgrund seiner Fähigkeit, Opioidabhängigkeit zu behandeln, große Aufmerksamkeit erregt hat. Obwohl Ibogain auf den ersten Blick nichts mit Vinblastin zu tun zu haben scheint, zeigt ein gewisses chemisches Verständnis, dass Ibogain und eines der Vinblastin-Monomere das gleiche Gerüst teilen, mit dem entscheidenden Unterschied, dass Ibogain das Spiegelbild des Vinblastin-Monomers (einer Untereinheit des Moleküls) ist. Die Entdeckung der Enzyme in T. iboga zeigte, dass beide Pflanzen ein fast identisches Enzymsystem verwenden, um Spiegelbilder dieses Gerüsts zu produzieren. Wir nutzten die Proteinkristallographie, um die Strukturen dieser Enzyme zu vergleichen und zu kontrastieren, und zeigten, wie kleine Veränderungen an den aktiven Stellen der Enzyme die Struktur des gebildeten Gerüsts verändern [3].
Den chemischen Reichtum tausender Pflanzenarten nutzbar machen
Da wir nun alle Gene kennen, nutzen wir die synthetische Biologie, um die Biosynthesewege in Hefe und der Modellpflanze Nicotiana benthamiana, einer Tabakart, zu rekonstruieren. Bei diesen nachgebildeten Stoffwechselwegen können wir alternative Derivate der Ausgangsstoffe verwenden, um Derivate der Endprodukte herzustellen [4]. Dies ist ein wichtiges Ziel, da pflanzliche Naturstoffanaloga oft eine veränderte oder verbesserte pharmakologische Aktivität haben, aber durch traditionelle chemische Methoden schwer zugänglich sind. Durch die Kombination von chemischer Logik, Bioinformatik und synthetischer Biologie sind wir auf dem Weg, den Reichtum der Chemie, den die 400.000 auf der Erde vorkommenden Pflanzenarten bieten, nutzbar zu machen.